Musik vor 1600 - 2013_wise_voigt
6. Dezember 2013, 15:30 Uhr
Dr. Konstantin Voigt
(Institut für Musikforschung, Universität Würzburg)

Sprachliche und musikalische Formfaktoren
im ein- und zweistimmigen »Neuen Lied«


Das im 12. Jahrhundert in aquitanischen und normanno-sizilischen Quellen überlieferte »Neue Lied« zählt zu den signifikantesten Beständen der Musikgeschichte des Mittelalters. Erstens bedeutet die  Verbindung oft hoch artifizieller rhythmischer Verse mit einer ihrerseits neuartig profilierten Melodik einen »liedgeschichtlichen Paradigmenwechsel« (Haug). Zweitens bilden die zweistimmigen Vertreter des »Neuen Liedes« einen der ersten umfangreichen Bestände mehrstimmiger Musik in praktischen Quellen. Dieser wurde – zunächst unter dem Schlagwort der »Schule von Saint Martial« – einer autonomen Geschichte der Mehrstimmigkeit zugeschlagen und dadurch forschungsgeschichtlich von den bis heute unedierten einstimmigen Repertoirebestandteilen tendenziell isoliert. Auf Basis der vollständigen Transkriptionen aller Hauptquellen des ein- und zweistimmigen »Neuen Liedes«, die im  Rahmen des Editionsprojektes Corpus monodicum entstanden sind, ist es inzwischen möglich geworden, eine neue Perspektive auf die Relation des Verhältnisses von Ein- und Zweistimmigkeit im 12. Jahrhundert zu gewinnen.

Die von Wulf Arlt und Leo Treitler mehrfach mitgeteilte Beobachtung, dass die aquitanische Zweistimmigkeit in ihren melodischen Konventionen und ihrem Verhalten gegenüber dem Text aus der Einstimmigkeit komme und von dieser nicht kategorial verschieden sei, bestätigen erste Sondagen des vollständigen Materials auf breiter Front. Die geplante Studie widmet sich daher einer Analyse der textlich-musikalischen Gestaltungsmittel des Neuen Lieds, sowohl in der Einstimmigkeit als auch in der Zweistimmigkeit.

Dies verspricht nicht nur eine weitere Erschließung der reichen Gestaltungsmittel dieser neuen Einstimmigkeit, sondern auch die Korrektur eines primär aus der Musiktheorie gewonnenen Bildes der Geschichte der Mehrstimmigkeit im 12. Jahrhundert.